Projektdarstellung

Zusammenfassung

Das Vorhaben erschließt und ediert derzeit Dokumente zur Geschichte des Römisch-deutschen Kaiserreiches und seiner Verfassung im 14. Jahrhundert als Teil des von vielen europäischen Institutionen getragenen Gesamtprojekts der „Monumenta Germaniae Historica“.

Die Machtspitze des spätmittelalterlichen Heiligen Römischen Reiches auf einer frühneuhochdeutschen Übersetzung der Goldenen Bulle Kaiser Karls IV.: Das Kaiserpaar umgeben von den drei geistlichen Kurfürsten, den Erzbischöfen von Mainz, Köln und Trier, erkennbar an den am Boden stehenden Wappenschilden, und den vier weltlichen Kurfürsten, dem König von Böhmen, dem Pfalzgrafen bei Rhein, dem Herzog von Sachsen und dem Markgrafen von Brandenburg, erkennbar an den Wappenfahnen. Die Kurfürsten sind zudem noch durch Symbole ihrer in der Goldenen Bulle festgelegten Erzämter bezeichnet. Wolfenbüttel, HAB, Cod. 82.4 Aug. 20, fol. 80r. (Druck der lateinischen und frühneuhochdeutschen Fassungen: MGH Constitutiones XI S. 535-633).

Aufgabe

Das Akademienvorhaben ist mit der Herausgabe der MGH-Reihe „Constitutiones et acta publica imperatorum et regum. Dokumente zur Geschichte des deutschen Reiches und seiner Verfassung“ beauftragt. Dieses übergreifende Quellenwerk zur politischen Struktur des mittelalterlichen Römisch-deutschen Kaiserreiches wird den Zeitraum von 911 bis 1378 abdecken. Da das Mittelalter weder geschriebene Verfassungen noch eine Gesetzgebungstätigkeit im modernen Sinne kannte, werden neben den wenigen und ausnahmsweisen Verfassungsurkunden und Reichsgesetzen auch Schriftstücke publiziert, in welchen die Reichsverfassung und die Reichsverfassungsentwicklungen ihre Widerspiegelung fanden. Mit der Arbeit werden die jeweils letzten, noch nicht in den „Constitutiones“ erfassten Abschnitte der Regierungszeiten Kaiser Ludwigs des Bayern (1314–1347) und Kaiser Karls IV. (1346–1378) erfasst und bearbeitet, das heißt die Jahre 1344–1347 sowie 1362–1378.

Für die Edition sind zunächst die Urkunden beider Herrscher und weitere verfassungsgeschichtliche Zeugnisse, wie etwa Verträge der Kaiser mit Fürsten, Städten sowie ausländischen Königen und Mächten, auch einschlägige Papstschreiben zu sammeln und zu verzeichnen. Wegen der territorialen Ausdehnung des mittelalterlichen Römisch-deutschen Kaiserreiches und aus archivhistorischen Gründen sind dafür Archivrecherchen sowohl in Deutschland, Österreich und der Schweiz, als auch in der Tschechischen Republik, Polen, den Benelux-Staaten, Dänemark, Frankreich und Italien nötig. Nach Erarbeitung einer qualifizierten Auswahl werden in dem Quellenwerk vornehmlich die im Zuge der Privilegienerteilung ausgesprochen rechtsetzenden und tatsächlich gesetzgebenden Akte sowie bislang ungedruckte Urkunden berücksichtigt. Diese werden dann teils durch Vollabdruck der Texte, teils durch Inhaltsangabe der Urkunden in Regestenform nach den quellenkritischen Editionsstandards der „Monumenta Germaniae Historica” ediert. Für die Sammlung und Auswahl wird eine Abstimmung mit anderen Editionsunternehmen, vor allem eine Zusammenarbeit mit den „Regesta Imperii“ praktiziert.

 

Einbettung in das Gesamtprojekt "Monumenta Germaniae Historica"

Emblem der aus der „Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde“ hervorgegangenen Monumenta Germaniae Historica mit dem Wahlspruch „Die heilige Liebe zum Vaterland verleiht die Kraft“ und dem nach römischem Kalender angegebenen Gründungsdatum 20. Januar 1819. Dieses Emblem ist allen Publikationen bis heute vorgesetzt; es wurde im 19. Jahrhundert auch zum Siegeln von Briefen benutzt. (Archiv MGH München)

Die Reihe „Constitutiones“ ist Teil des Gesamtprogramms der „Monumenta Germaniae Historica”, die bereits 1819 auf Anregung des Freiherrn vom Stein in Frankfurt am Main gegründet wurden, später in Berlin beheimatet waren und "durch kritische Quellen-Ausgaben und -Studien der wissenschaftlichen Erforschung der mittelalterlichen Geschichte Deutschlands und Europas" dienen. Die heute in fast 500 Bänden sowie einer Reihe von digitalen Angeboten publizierten Quellen und Studien bilden die wichtigste Textbasis für eine Erinnerungsgeschichte an das europäische Mittelalter, denn diese Texte stellen im Grunde Manifestationen oder gleichsam Bausteine eines kulturellen Gedächtnisses der Vormoderne dar. Das Gesamtprogramm der „Monumenta Germaniae Historica“ wird heute hauptsächlich getragen von einem Institut des Freistaates Bayern namens MGH sowie den MGH-Arbeitsstellen an den Deutschen Akademien der Wissenschaften von Berlin-Brandenburg, Bayern, Sachsen, Göttingen, Mainz, Düsseldorf, Hamburg, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und dem Schweizerischen Nationalfond SNF. Darüber hinaus wirken weltweit Wissenschaftler, wie etwa aus Prag, Brünn, Rom, New York, Jerusalem, Florida oder Tokyo durch Editionen an dem Gesamtprojekt MGH mit.

Geschichte der „Constitutiones“

Obwohl eine erste Publikation von „Constitutiones regum Germaniae“ schon 1837 erschien, wurde die heutige, wesentlich erweiterte und maßgebliche Ausgabe der „Constitutiones et acta publica“' erst nach der Reorganisation der MGH 1875 begonnen. Von 1893 bis 1926 wurden sieben Bände in der Reihe publiziert.

Als die MGH nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Sitz von Berlin nach München verlegten, verblieb an der Berliner Akademie eine Arbeitsstelle, an der die Arbeit an den „Constitutiones“, deren Sammlung und Zwischenergebnisse durch den Krieg schwere Verluste erfahren hatten, fortgesetzt wurde. Die Berliner Arbeitsstelle wurde 1969 dann als „Arbeitsgruppe MGH“ dem Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR unterstellt. Trotz der deutschen Teilung gelang es, das wissenschaftliche Verhältnis zur Zentrale der MGH in München aufrecht zu erhalten.

Die Berliner Arbeitsstelle der MGH, an welcher zunächst auch noch an den MGH-Reihen „Briefe der deutschen Kaiserzeit“' und „Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters“ gearbeitet wurde, konzentrierte sich seit Mitte der 1960er Jahre unter der Leitung von Eckhard Müller-Mertens auf die Bearbeitung der sogenannten "Dokumente zur Geschichte des deutschen Reiches und seiner Verfassung". Als Auftakt für die Publikation neuer Bände wurde 1972 eine Separatausgabe der Goldenen Bulle von 1356, einem im Grunde bis 1806 gültigen „Grundgesetzt“ des Alten Reiches, publiziert. In den Jahren von 1974 bis 1992 erschienen in 17 Lieferungen drei Folgebände für die Regierungsjahre 1349–1356 Karls IV., darunter auch die nunmehr gültige Monumenta-Ausgabe der Goldenen Bulle samt einer zeitgenössischen frühneuhochdeutschen Übersetzung. Zudem wurde mit der Publikation eines neuen Bandes der „Constitutiones“ Kaiser Ludwigs des Bayern begonnen, dessen erster Faszikel 1989 vorgelegt werden konnte.

Nachdem die Berliner Arbeitsstelle der MGH 1992 in die Rechtsform eines Akademienvorhabens überführt worden war und innerhalb der BBAW zunächst von der Mittelalter-Kommission, seit 2004 von einem wissenschaftlichen Beirat betreut wird, ist die Arbeit weiter auf die Fortführung und den Abschluss der MGH-Reihe „Constitutiones et acta publica imperatorum et regum“' konzentriert worden. Daraus hervorgegangen sind die seither erschienenen Bände VI,2, VII,1, VII,2, XII, XIII,1, XIII,2 und XIV,1 sowie zwei digitale Vorabeditionen. Für Kaiser Ludwig IV. sind noch ein Teilband (VII,3), für Kaiser Karl IV. noch fünf Bände (XIV,2, XV,1 und XV,2, XVI, XVII) geplant, für die schon umfangreiche Archivaliensammlungen und Vorarbeiten vorliegen.

Ausblick

Mit der Fertigstellung der insgesamt 17 Bände wird die Reihe „Constitutiones“ vollständig und ein mehr als hundertjährige Editionsprojekt der MGH abgeschlossen sein. Das Quellenwerk nimmt dann seinen Platz zwischen der MGH-Reihe “Capitularia regum Francorum“ und den von der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie herausgegebenen „Deutschen Reichstagsakten“ ein. Um bislang erzielte Forschungsergebnisse noch vor dem Erscheinen der chronologisch angelegten Bände bekanntzumachen, sind einige der schon bis 1378 bearbeiteten Archivsprengel als elektronische Constitutiones (MGH eConst) vorab publiziert worden. Im Rahmen einer Retrodigitalisierung sind nach einer verlagstechnisch bedingten Schutzfrist alle bislang erschienenen Bände auch digital nutzbar. Die für die „Constitutiones“ Karls IV. erzielten Rechercheergebnisse aus den europäischen Archiven werden zudem in eine frei zugängliche Regestendatenbank der Regesta Imperii eingespeist, die somit den vollständigen Wissensstand zu den Urkunden abbildet.
Ob die zukünftigen Editionsvorhaben, die die Berliner Arbeitsstelle zum Gesamtprojekt der „Monumenta Germaniae Historica“ beiträgt, eine Wiederaufnahme der bereits früher in Berlin ansässigen MGH-Reihen „Briefe der deutschen Kaiserzeit“' und „Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters“ bedeuten werden, oder ob wegen der angesammelten Sachkompetenz zum Spätmittelalter die Bearbeitung von Chroniken, Scriptores, Epistolae oder Formelsammlungen des 14. Jahrhunderts den Vorzug erhalten, muss noch entschieden werden.
(zur Geschichte des Projekts siehe auch den Beitrag "Das grösste Unternehmen der Nation" über die MGH im Jahresmagazin 2019 der BBAW, S.80-87)
(OBR)