Fundstück 9

Nürnberg, 1340 Juli 1: „ … in einen Sack stoßen und ertränken“. Kaiser Ludwig IV. bestätigt dem Nürnberger Rat die Blutgerichtsbarkeit.

Überlieferung: Staatsarchiv Nürnberg „Reichsstadt Nürnberg, kaiserliche Privilegien 49“ (Ausschnitt). Druck: MGH Constitutiones VII,2 S. 42 Nr. 756 mit weiteren Angaben. (OBR)

Verhandlungen über die Zuständigkeiten für die niedere und höhere Gerichtsbarkeit, die oft als Urteile über Haut und Haar sowie über Hals und Hand bezeichnet wurden, durchziehen die Geschichte des Gerichtswesens des gesamten Mittelalters. Während erstere Leibesstrafen umfassen wie etwa Prügel oder Pranger, beziehen sich letztere auf die Blutgerichtsbarkeit, also das Recht, Todesstrafen auszusprechen und auch zu vollziehen. Diese volle Gerichtsbarkeit, die sich in der Rechtstheorie vom König oder Kaiser ableitete, war eines der zentralen Merkmale von tatsächlicher politischer Herrschaft und somit bei Fürsten und Kommunen sehr begehrt. In der vorliegenden Urkunde erlaubte Kaiser Ludwig IV. dem Rat und den Schöffen von Nürnberg wegen, wie in der Urkunde hervorgehoben wird, vergangener und künftiger Reichsdienste, nach Mehrheitsentscheid in einem Gerichtsgremium Todesurteile über Insassen des Stadt- und Reichsgefängnisses verhängen und vollstrecken zu dürfen. Das bedeutet, dass Verbrecher nicht nur bis zu einem Richterspruch des Herrschers oder eines von ihm dafür Beauftragten in städtischen Kerkern verwahrt werden brauchten, sondern der Rat wurde, wie es weiter heißt, bevollmächtigt, ihre in Stadt und Umland Nürnberg ansässigen Bürger, einschließlich deren Kinder, Freunde oder Knechte wegen todeswürdiger Verbrechen auch zu richten. Als Todesstrafen nennt der Text die lebenslange Kerkerbuße in einem Turm, das Ertränken und lässt noch weitere unbestimmte Hinrichtungsarten zu. Das als eine „mildere“ Todesstrafe angesehene Ertränken ersetzte mitunter den als schändlicher betrachteten Strang und wurde zudem oft bei Frauen angewendet, etwa als Strafe bei Kindstötung. Zur Todesstrafe des Ertränkens liefert die Urkunde noch ein grausiges Detail: in ainen sak stozen und in dem wazzer ze tod ertrenken – Delinquenten sollten also in einen Sack gestoßen und dann ins Wasser geworfen werden, ein seinerzeit übliches und oft angewendetes Verfahren, das erst mit der Constitutio Criminalis von Kaiserin Maria Theresia an Bedeutung verlieren sollte. Zwei Jahrzehnte vor der hier vorliegenden Urkunde waren diese Gerichtsrechte den Nürnbergern schon einmal von Ludwig in der Würde des Römisch-deutschen Königs gewährt und beurkundet worden, diesmal nun erhielten sie die Bürger der Pegnitzmetropole mit der Autorität des Kaisers bestätigt.

Text (ohne Sonderzeichen)

Wir Ludowig von gotes gnaden Romischer kaiser, ze allen zeiten merer des reichs, veriehn und tun kunt offenlichn an disem brif allen den, die in sehen oder horen lesen, daz wir angesehen haben sogetan dinst, als uns und dem reich die purger von Nuremberg, unser liben getriwen, getan haben und noch getun mugen, und haben in die genad getan und daz reht gegeben von unserm keiserleichem gewalt, daz si ainen iegleichen schedleichen menschen, der in ir und des reichs vanknusse ze Nuremberg kumt, mit bosem leumund uberkumen mugen und den leib angewinnen mugen also beschaidenlichen, daz rat und schepfen oder den merern tail under in dunket auf ir ayd, daz der leumund so stark auf in gegangen sei, daz man billeicher rihte uber seinen leib denn man ez laz, daz er damit den leip verloren hab. Wir haben in auch sunderlichen di genad getan und daz reht gegeben von unserm kaiserleichem gewalt, daz die vorgenanten unser purger des rates und die schepfen ze Nuremberg oder der merer tail under in vollen gewalt haben, ainen ieglichen iren purger oder sein kint oder seinen freunt oder seinen kneht, daz si ervaren und endelichen innen werden, daz er so ungeraten sei, daz si des dunket, daz er von seiner ungeratenheit bezzer tod sei denn lebendig, daz si den, der in der stat und in dem gerihte ze Nuremberg gesezzen ist, wol urtailen mugen in ainen turen ze puzen, dar nach und er verworht hat,  oder in ainen sak stozen und in dem wazzer ze tod ertrenken oder ainen andern tod anzelegen, dar nach und si ze rat werden. Und des zu ainem waren urchund, daz in dise vorgeschriben gnad stet und gancz beleiben, geben wir in disen gegenwertigen brif, besigelten mit unserm kaiserlichem insigel, daz dar an hanget.

Der gebn ist ze Nuremberg, do man zalt von Kristus geburte dreuczehenhundert iar und in dem vierczigstem iar, an dem samcztag nach Petri und Pauli der heiligen zwelifpoten, in dem sehs und zwainczigstem iar unsers reichs und in dem dreiczehenden des kaisertums.