Im Verlauf von Kriegswirren, die für Archivüberlieferungen oft weitreichende Konsequenzen haben, sind auch viele Archivalien aus der Zeit Karls IV. vernichtet, verschleppt und verstreut worden, mitunter sind sie sogar spurlos verschwunden. Dabei ist nicht nur an den Zweiten Weltkrieg zu denken, in dessen Feuerstürmen die Urkunden des Geheimen Hausarchivs in Schleiz verbrannten oder Stücke aus den Stadtarchiven von Frankfurt am Main, Regensburg, Augsburg, Stendal oder Celle, vielmehr fristete eine Urkunde schon mit ihrem Eintritt in die Welt ein gefährliches und nicht voraussehbares Dasein. So wurde Kaiser Karl IV. wiederholt gebeten, über zurückliegende Rechtsgeschäfte neue Urkunden auszustellen, weil die ursprünglichen leider verbrannt seien, wie es in den Neuausfertigungen heißt, so etwa für die Herren von Hanau, für Gottfried von Eppstein oder für den Erzbischof von Mainz. Und nicht immer ist es so komfortabel wie in dem hier vorliegenden Fall, bei dem die Archivalien ihr Schicksal selber preisgeben. Es handelt sich um jene Urkunden, die die italienische Fürstenfamilie der Gonzaga in Mantua von Königen und Kaisern bekommen hatten und die sich heute in Wien befinden. Warum gerade Wien? Das wiederum hatte mit den Gonzaga selbst zu tun. Im 12. Jahrhundert erstmals nachweisbar, stiegen sie im 14. Jahrhundert durch konsequente Kaisernähe zu einer der bedeutendsten italienischen Fürstenfamilien auf. Sie regierten von 1328 bis 1708 zunächst in der Stadtkommune, dann in der Markgrafschaft und zuletzt im Herzogtum Mantua überaus erfolgreich und wurden immer mächtiger. Doch schon im Dreißigjährigen Krieg schwer gebeutelt, näherte sich im Verlauf des Spanischen Erbfolgekrieges zwischen Frankreich und Österreich (1701–1714) die Gonzaga-Herrschaft ihrem Ende: Weil der letzte Familienspross Ferdinando Carlo Gonzaga auf die Seite Frankreichs gewechselt war, ließ ihn Kaiser Leopold I. 1701 zum Verräter erklären. Kaiser Joseph I. ließ dann 1708 vor dem Reichstag in Regensburg das als vom Reich rührende Fahnlehen, also als ein weltliches Fürstenlehen geltende, Herzogtum Mantua einziehen. Administrativ unterstand Mantua nun direkt dem Kaiser. Das wiederum hatte zur Folge, dass sogar die Originalurkunden sämtlicher jemals erfolgter Erhebungen und Belehnungen, eben auch die aus der Zeit Karls IV., an den kaiserlichen Hof abgegeben werden mussten. Diesen Sachverhalt notierten glücklicherweise die Archivare des 19. Jahrhunderts, als sie die Bestände in Mantua verzeichneten, auf den Papierhüllen, die weitere Überlieferungen bargen und heute dort noch vorhanden sind. So verhält es sich zum Beispiel mit der in Prag ausgestellten Urkunde vom 23. Dezember 1365, in der Karl dem Edlen Feltrinus von Gonzaga und dessen Söhnen, Nachfolgern und Erben das Vikariat über die Stadt und den Distrikt von Mantua entzog. Das Original liegt heute im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, die Notizen mit späteren Abschriften hingegen blieben in Mantua. Dort lesen wir auf folio 88 der Akte „AG-B-III-busta 2 vicariato imperiale Nr. 22“ unter einem ausführlichen Regest: „N(ota) b(ene): Originale hoc fuit transmissum ad aulam cesaream sub die prima februarii 1710 – Merke wohl: Das Original wurde am ersten Februar 1710 an den kaiserlichen Hof überstellt“. Das Beispiel zeigt, dass für die Recherche von Überlieferungen nicht ausschließlich die Findbücher der Archive von Belang sind, sondern alle Arten von Notizen, die im Umfeld solcher Dokumente enstanden sind. Und es zeigt auch, dass es für eine erfolgreiche Recherche überaus hilfreich ist, die politische Geschichte der Registraturbildner auch auf lange Sicht im Auge zu behalten. Dass die mittelalterlichen Urkunden zudem in der Frühen Neuzeit immer noch von höchster rechtlicher Relevanz waren, lässt sich daraus ableiten, dass die Habsburger jegliche Art von Rechtsetzungen ihrer Amtsvorgänger als nichtig ansahen und mit dem Einziehen zugehöriger Dokumente auch den Sachverhalt entkräften wollten.